Manchmal versteckt sich interessante Architektur dort, wo man sie am wenigsten vermutet. Zum Beispiel zwischen Birken, Espen, Kiefern, Felsen und einem Fluss in Norwegen, zwischen den Touristenmagneten Geirangerfjord und Trollstigen. Ursprünglich stand in einer einsamen Gegend irgendwo an dieser Landstraße ein Bauernhof – und einige Gebäudeteile des Hofes stehen immer noch. Doch dort, wo früher nur Wildnis war, sind heute Hotelzimmer – sehr ungewöhnliche allerdings. Sie gehören zum Hotel Juvet, das sich als „erstes Landschaftshotel Europas“ bezeichnet.
Sieben moderne Häuschen aus Holz verteilen sich mitten in der Natur. Das Besondere: Jedes Häuschen ist innen wie außen minimalistisch gestaltet, im Mittelpunkt steht jeweils der Ausblick. Wer in das Häuschen tritt, steht mitten in dem Zimmer, das viel freien Raum und wenig Möbel bietet. Doch darauf achtet sowieso niemand, denn eine Wand pro Haus, teils sogar zwei, sind aus Glas. Und weil Wände, Böden und Einrichtung in ganz dunklen Farben gehalten sind, schweift der Blick natürlich sofort zum Panorama, das es in sich hat – etwas anderes ist mitten in der norwegischen Natur auch kaum zu erwarten.
Ich durfte eine Nacht in dem Häuschen verbringen, das direkt über dem Fluss Valldøla liegt. Und ich bin lange einfach nur dagesessen und habe aus dem Fenster, auf den Fluss, auf den Wald geschaut. Denn natürlich kommt man als Tourist wegen der Landschaft nach Norwegen. Und genau diese bekommt man hier wie auf einer Kinoleinwand geboten. Auch vom Bett aus, das in einer Zimmernische eingepasst ist, blickt man durch die Glaswand nach draußen. Jedes Haus hat eine andere Ausrichtung, ein anderes Panorama, und jedes Haus steht für sich alleine. Und jedes ist nur für zwei Personen konzipiert – wie ein Hotelzimmer, nicht wie ein Ferienhaus.
Kurt Slinning ist der Hotelier, der die Häuschen vermietet. Und dennoch sind Touristen, die nur eine Schlafstätte suchen, bei ihm an der falschen Stelle: „Wir verkaufen hier mehr als nur ein Zimmer“, sagt Slinning. Ihm geht es um die Philosophie, die hinter den Entwürfen der Architekten von Jensen & Skodvin aus Oslo steckt.
Die Macht der Natur, Einsamkeit, Ruhe, Zurückgezogenheit, dafür steht Juvet. Das sollten die Urlauber auch zu schätzen wissen. Treffen können sich die Hotelgäste aber zum Beispiel im Spa-Häuschen, das ebenfalls mit Fluss-Blick aufwartet. Und gegessen wird zusammen im Kuhstall des alten Bauernhofes. Knut Slinning kennt den Hof von früher, sein eigenes Sommerhaus liegt gegenüber. Als die Hauptstraße dazwischen zu einer der norwegischen Landschaftsrouten ernannt wurde und der Bauer seinen Hof zum Kauf anbot, entstand die Idee mit den Häuschen. „Wir arbeiten mit denselben Ressourcen wie früher die Bauern“, sagt Knut Slinning.
Das Hotel wurde 2012 mit dem Architekturpreis Houens Fonds Diplom ausgezeichnet. Dieser gilt als der älteste und renommierteste Architekturpreis in Norwegen. Er wird vom Kultusministerium verliehen an Projekte, die der Verband der norwegischen Architekten nominiert hat.
Wer bei seinem nächsten Norwegenurlaub eine Nacht in preisgekrönter norwegischer Architektur verbringen will, kann das für etwa 185 Euro pro Nacht und Person machen: Juvet Landskapshotell, 6210 Valldal, Telefon: 0047/95032010, www.juvet.com.