Wenn Leute mich das erste Mal besuchen, passiert manchmal Folgendes: Sie kommen in den offenen Wohnraum, bemerken zuerst die großen Fenster und die Ausblicke. Und schauen sich dann suchend um: „Hast du gar keinen Fernseher?“ oder „Hast du keine Couch?“, fragen sie, manchmal auch „Habt ihr gar kein richtiges Wohnzimmer?“
Die Antwort auf die letzte Frage wäre eigentlich eine Gegenfrage: Was ist denn ein richtiges Wohnzimmer? Wann ist ein Zimmer so geplant, ausgestattet, eingerichtet, dass es als Wohnzimmer betrachtet werden kann? Womöglich hat man die seit Jahrzehnten gängigen Merkmale vor Augen: größter Raum im Haus, Couch, Couchtisch, Fernseher, Schrank- oder Regalwand. Weil man hier aber auch kreativer vorgehen könnte, ist das Wohnzimmer in meiner „Das-kannst-du-doch-nicht-machen“-Serie gelandet, obwohl es kein klassisches Bauthema ist. Auch beim Wohnen und Einrichten orientieren sich viele Bauherren an den aktuellen Trends, ohne sie zu hinterfragen. Besser wäre es jedoch, nicht das umzusetzen, was alle für richtig oder angesagt halten, sondern das, was die eigenen Bedürfnisse am besten befriedigt.
Warum kein Wohnzimmer?
Mein Wunsch war ein großer Wohnraum, hell und luftig. Also möglichst wenig Wände im Erdgeschoss, kein abgeschlossenes Wohnzimmer.Obwohl der Raum groß genug wäre, um einen großen Essplatz und eine Couchlandschaft sowie Schränke unterzubringen, ist die Gestaltung doch sehr „minimalistisch“ geblieben.
Das hat sich nach und nach ergeben, da im Haus genug Platz war, um die Raumfunktionen anders aufzuteilen: Das Fernsehen wurde beispielsweise ausgelagert ins Obergeschoss. Hauptgrund war ursprünglich, dass ich den alten Fernseher so hässlich und störend im Wohnraum fand. Mittlerweile könnte ich es mir aber aus diversen Gründen nicht mehr anders vorstellen. Und was die Wohnzimmermöbel angeht, so ist nach einigen Experimenten nur ein Sessel geblieben. Ein Sofa hat immer deplatziert gewirkt vor den großen Fensterflächen. Wenn Gäste kommen, sitzen diese am Esstisch, auf dem Sessel, auf dem Hocker oder ganz oft auch auf den Fensterbrettern. Demnächst werden noch ein paar Sitzgelegenheiten dazukommen – ein weiterer Sessel und ein flaches Regal in der Wandnische, dessen Oberfläche mit Polstern zur Bank gestaltet wird.
Ist es billiger, ohne Wohnzimmer zu bauen?
Kann man so eigentlich nicht fragen. Man lässt ja nicht einfach einen Raum weg und baut dafür ein kleineres Haus. Vielmehr wirkt sich die Entscheidung auf zwei andere Punkte aus: die Raumaufteilung und die flexible Nutzung der Räume. Beides ist bei der Grundrissplanung zu beachten und hat in diesem Zusammenhang dann Auswirkungen auf die Baukosten. Grundsätzlich gilt: Wer sparen will, verzichtet auf zu viele kleine Räume und zu viele Verkehrsflächen und spart mit jedem Quadratmeter weniger Wohnfläche um die 1200 Euro, rechnet Achim Linhardt in seinem Buch „Attraktiv bauen mit kleinem Budget“ (DVA, ISBN 978-3-421-03816-6) vor.
Und aus architektonischer Sicht?
Der Architekt ist der Fachmann für den Grundriss, er kann dafür sorgen, dass die Raumaufteilung zu den Gewohnheiten und Bedürfnissen der Bauherren passt und individuelle Lösungen vorschlagen. Wer gerne DVD-Abende gemeinsam mit dem Partner auf der Couch verbringt, wird anders planen als jemand, der regelmäßig eine bunte Gästeschar mit Drei-Gänge-Menüs bewirten möchte. Dazu kommen Fragen wie: Wie verlaufen die Wege im Haus? Wie ist die Lichtführung? Wo gibt es schöne Ausblicke? Das Wohnzimmer muss sich sinnvoll in die Gesamtplanung integrieren. Zudem sieht ein guter Grundriss in einem Haus mit schmaler, langer Grundfläche natürlich anders aus als in einem quadratischen Baukörper. Bestimmte Regeln gelten aber fast immer: Wer zum Beispiel lange Flure vermeidet und damit Verkehrsfläche sparen möchte, wird sein Wohnzimmer eher offen gestalten. Da geht man dann vielleicht durch das Esszimmer ins Wohnzimmer oder durch das Wohnzimmer ins Arbeitszimmer.
Unbedingt besprechen sollte man mit dem Architekten, inwieweit man die Räume flexibel nutzen und so die Raumaufteilung ändern kann. Ein Haus bewohnt man in der Regel in sehr verschiedenen Lebensphasen – und je starrer die Raumaufteilung geplant ist, desto schwieriger wird eine sinnvolle Nutzung in den einzelnen Phasen. Ein Beispiel, das ich zurzeit vor allem in den Elternhäusern meiner Freunde und meiner Familie sehe: In der Regel waren Küche, Esszimmer und Wohnzimmer dort einzelne Räume. Am kleinsten die Küche, etwas größer das Esszimmer und am größten das Wohnzimmer. Wenn aber jetzt die Kinder alle schon eigene Familien haben, kommen zum bestimmten Anlässen manchmal sechs oder gar zehn Erwachsene zusammen plus die Enkelkinder-Schar. Das Esszimmer, das für solche Gelegenheiten genutzt wird, ist dann zu klein. Das Wohnzimmer ist dagegen für die Dauernutzung durch nur zwei Personen viel zu groß. Gut ist es, wenn solche Funktionen getauscht werden können. Das klappt am besten, wenn Räume offen und dadurch flexibel sind oder bei einer Neuaufteilung Aufgaben der Wohnräume ausgelagert werden können. Ein Lese- oder Fernsehzimmer in einem früheren Arbeitszimmer oder eine gemütliche Couch in der offenene Galerie im ersten Stock sind beispielsweise Lösungen, die man immer wieder sieht.
Entscheidungshilfen
Das Wohnzimmer hat sich in jüngster Zeit wieder gewandelt. War das Wohnzimmer lange Zeit ein repräsentativer Raum, wird es jetzt wieder privater und intimer. Häufig ist es wieder abgetrennt, oft sogar etwas versteckt hinter den „offiziellen“ Wohnräumen platziert. Manchmal ist es kleiner als die Essräume, dafür mit einer Couchlandschaft vollgestellt – eher ein Ruheraum als ein Wohnraum. Wer das Gegenteil anstrebt, schaut sich als Inspiration bei der Einrichtungplattform Houzz die wunderschönen Fotos zum Thema „Acht Ideen für ein gemütliches Wohnzimmer ohne Sofa“ an. Das Für und Wider des offenen Wohnens diskutiert der Artikel „Loft-Wohnungen sind nur auf den ersten Blick schick“ in der Onlineausgabe der „Welt“.
Hier geht es zu den weiteren Teilen der Serie „Das kannst du doch nicht machen!“: